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Die Psychopathie - eine Kulturgeschichte oder von der Psychopathie zur Persönlichkeitsstörung

Hier seht ihr einen wunderschönen Beitrag zum Thema Art Brut mit dem Titel „‚Marionette lebenslang“ von J.H. 2001.
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Die amerikanische Psychiatrie verknüpfte die aus Frankreich stammenden Konzepte der Persönlichkeitsstörung relativ früh mit Dissozialität. Rush betonte 1812 Eigenschaften wie Verantwortungslosigkeit, Aggressivität und Rücksichtslosigkeit als wesentliche Merkmale einer kranken Persönlichkeit. 1835 prägte Prichard (1835) den Begriff der „moral insanity“ in der er eine „Verrücktheit“ beschrieb. Die Verbindung der Persönlichkeitsstörung mit antisozialem Verhalten wurde in der angloamerikanischen Psychiatrie beibehalten und Koch sprach damals 1889 von der psychopathischen Minderwertigkeit. Cleckley definierte Psychopathen durch ihre antisozialen Verhaltensauffälligkeiten. Hare entwickelte schließlich die heute am weitesten verbreitete Skala zur Abgrenzung von Psychopathy, die PCL. Bis zur vorletzten Auflage des DSM, des Diagnostischen und Statistischen Manuals Psychischer Störungen blieb das sozial schädliche Verhalten der wesentliche Gesichtspunkt bei der Definition der Persönlichkeitsstörung.


Im deutschsprachigen Raum war die Geschichte der Psychopathie stark von der sogenannten Degenerationslehre geprägt. Der Begriff der Minderwertigkeiten wurde geprägt und als Stufen eines organischen Degenerationsprozesses angesehen, der in letzter Konsequenz in der Psychose endet. Aber auch der bekannte Psychiater Kraepelin verwendete um 1900 Begriffe die nicht wertfrei waren. Er unterschied 7 Haupttypen die Erregbaren, die Haltlosen, die Triebmenschen, die Verschrobenen, die Lügner und Schwindler, die Gesellschaftsfeinde und die Streitsüchtigen.


Im Zusammenhang mit der antisozialen Persönlichkeitsstörung wird in der forensischen

Psychologie vor allem das Konstrukt der Psychopathie nach Robert Hare beforscht.  Psychopathie wird demgemäß als Persönlichkeitsstörung, die sich aus speziellen Persönlichkeitseigenschaften und antisozialen Verhaltensweisen zusammensetzt, beschrieben. Interpersonelle Eigenschaften (manipulatives und betrügerisches Handeln), affektive Merkmale (Herzlosigkeit und Kaltblütigkeit), ein impulsiver Lebenswandel (Verantwortungslosigkeit) und antisoziale Tendenzen (Jugenddelinquenz) charakterisieren sie.


Psychopathie nach Hare gilt im Hinblick auf gewalttätigen und allgemeinen Rückfall bei Sexualstraftätern als über die Diagnose einer antisozialen Persönlichkeitsstörung hinaus prognostisch relevant. Sie wird psychometrisch mit Hilfe der Psychopathy Checklist-Revised (PCL-R) erhoben. Psychopathie wird dabei zumeist als dimensionales Konstrukt verstanden. Für verschiedene Länder gibt es unterschiedliche Cut-off Werte, die nicht-psychopathische Menschen von psychopathischen trennen. Das Verfahren hat sich in zahlreichen internationalen Studien unterschiedlicher Täterpopulationen zur Vorhersage für allgemeine kriminelle und gewalttätige und auch sexuelle Rückfälle als trennscharf gezeigt. Die PCL-R ist demnach an sich zwar kein Prognoseverfahren bzw. wurde nicht als solches konzipiert, sie hat sich jedoch in der Praxis und Forschung als prognostisch relevant erwiesen.


In den letzten Jahren wurde die Erforschung der neurobiologischen Grundlagen der Psychopathie modern. Metaanalysen von bildgebenden Verfahren zeigen bei  Psychopathen Hinweise auf eine Volumenminderung grauer Substanz im linken dorsolateralen präfrontalen Kortex und im medialen Orbitofrontalkortex. Eine weitere Metaanalyse ergab Evidenz für veränderte Hirnaktivität im frontoinsulären Kortex, im lateralen präfrontalen Kortex, im dorsomedialen präfrontalen Kortex und in der rechten Amygdala. Es ergaben sich Hinweise auf eine Dysregulation im serotonergen System bei Psychopathen. Zusammenfassend zeigten sich klare neurobiologische Veränderungen bei hochgradig psychopathischen Personen. Die Ergebnisse keinen Aufschluss darüber geben, ob es sich bei den Veränderungen um Ursache oder Folge der Psychopathie handelt, doch sie können  Ansatzpunkte für biologische Therapieverfahren bieten.