Als ich im Internet über Narzissten und Narzissmus recherchierte wurde mir schnell klar, dass ein Großteil der geteilten Informationen falsch war. Menschen mit Einschränkungen ihrer psychischen Gesundheit bezeichnen alle möglichen missbräuchlichen Ex-Freunde, Freunde und Eltern als Narzissten, ohne wirklich eine klare Vorstellung davon zu haben, was diese Diagnose eigentlich bedeutet. Ihre Beschreibungen der narzisstischen Persönlichkeitsstörung sind oft so übertrieben und unrealistisch, dass sie Narzissten klingen lassen, als wären sie entweder Comic-Bösewichte oder Superhelden.
Hier sind einige der Kommentare, die ich immer wieder sehe, als ob sie absolut wahr wären:
„Narzissten sind alles böse Menschen, die empathische Menschen ausbeuten, um ihr Leben zu ruinieren“.
„Man kann einem Narzissten nicht widerstehen, weil sie alle unglaublich selbstbewusst und sexy sind und Meister im Manipulieren sind“.
„Alle Narzissten betrügen“.
„Psychotherapie funktioniert bei Narzissten nicht“.
Eine Vielzahl dieser Mythen über Narzissten wird als Wahrheit akzeptiert, weil sie immer wieder im Internet wiederholt wird. Ich möchte nun einige Mythen beschreiben, denen ich immer wieder begegnet bin. Einige dieser Mythen werden von selbsternannten Experten für Narzissmus als Wahrheit vorgeschlagen. Einige Personen ohne wirkliche Abschlüsse in Bereichen für psychische Gesundheit (also keine Fachärzte für Psychiatrie, klinische Psychologen oder Psychotherapeuten) haben für sich entschieden, dass sie die wahren Experten für narzisstische Persönlichkeitsstörungen sind und dass ihre Erkenntnisse denen qualifizierter Experten in den zuvor genannten Fachbereichen weit überlegen sind. Diese selbsternannten Experten produzieren eine Vielzahl von Videos und Blogs und verbreiten darin viele falsche und verwirrende Informationen.
Die Wahrheit ist, wie in so vielen Fällen, einfacher, und hier auch trauriger. Narzissten sind Menschen, denen es an emotionalem Einfühlungsvermögen mangelt. Sie können sich und andere Menschen nicht realistisch, stabil und integriert sehen. Es kommt hier zu sogenannten fehlenden Objektbeziehungen. Sie sind unglaublich egozentrisch und überschätzen ihre eigenen Fähigkeiten, idealisieren oder beneiden Menschen, die erfolgreicher oder von höherem Status sind, und entwerten jeden, der sie kritisiert oder von dem sie glauben, dass er in jeder Statushierarchie, die er schätzt, unter ihnen liegt. Manche von ihnen sind durchaus talentiert und können in bestimmten Arbeitsumgebungen gut abschneiden. Ihre narzisstische Persönlichkeitsstörung schränkt aber ihre Fähigkeit, gegenseitig befriedigende Beziehungen zu anderen Menschen aufzubauen, stark ein. Ihr Leben ist geprägt von einer langen Suche nach externer Bestärkung und Perfektion.
Mythos: Alle Narzissten sind äußerst selbstbewusst.
Die Realität ist, dass das, was narzisstische Grandiosität und Selbstvertrauen zu sein scheint, eine dünne, defensive Fassade ist, die ein Versuch ist, andere Menschen zu beeindrucken, ihr eigenes schwankendes Selbstwertgefühl zu stabilisieren, ihre Selbstzweifel zu bewältigen und Gefühle von Scham und Selbsthass abzuwehren.
Mythos: Alle Narzissten beabsichtigen, diejenigen zu verletzen, die ihnen nahe stehen.
Die Realität ist, dass Narzissten oft den Schaden vergessen, den sie verursachen. Sie versuchen, ihre eigenen emotionalen und praktischen Bedürfnisse zu erfüllen. Ein großer Teil des Schmerzes, den sie verursachen, ist einfach Kollateralschaden und nicht ihr Ziel. Ihr Ziel ist es, narzisstische Bestätigung zu erhalten oder sich vor dem zu verteidigen, was sie als verheerende Angriffe auf ihr Selbstwertgefühl und ihr Gefühl der Bedeutung empfinden.
Mythos: Alle Narzissten sind sexuell unmoralisch.
Die Realität ist, dass sich Narzissten in ihren Standards für ihr eigenes Verhalten sehr unterscheiden. Ich kenne diejenigen, die ihre Partner nie betrügen, und andere, die Lügner sind und zwanghaftes sexuelles Verhalten an den Tag legen.
Mythos: Alle Narzissten sind Meister der Manipulation.
In Realität habe ich eine Handvoll Narzissten getroffen, die gut darin sind, andere Menschen zu manipulieren. Die meisten Narzissten sind ähnlich wie Kinder, die durch Versuch und Irrtum lernen, wie sie von ihren Eltern bekommen, was sie wollen. Sie nutzen die Bereitschaft der anderen Person, ihnen nachzugeben.
Mythos: Alle Narzissten sind Raubtiere.
Die Realität ist, dass Narzissten Menschen wie du und ich sind. Aber ihre Störung führt dazu, dass sie unempfindlich gegenüber den Gefühlen und Bedürfnissen der Menschen um sie herum sind. Ihnen fehlt es an emotionalem Einfühlungsvermögen und sie agieren sehr egozentrisch. Diese Kombination aus Bedürfnis, Unempfindlichkeit und Selbstzentrierung führt oft dazu, dass Menschen mit narzisstischer Persönlichkeitsstörung bei ihrem Streben nach dem, was sie wollen, übermäßig egoistisch und zielstrebig auftreten.
Mythos: Alle Narzissten sind böse.
Die Realität ist, dass sich Narzissten verletzend verhalten können, aber sie sind nicht von Natur aus böse. Sie sind schlecht in intimen Beziehungen. Aber viele Narzissten tun Gutes. So werden eine Vielzahl von Krankenhäuser, Bibliotheken, Kultureinrichtungen und Schulen von Narzissten unterstützt, die ihre narzisstische Energien durch gute Taten erhalten. Alles, was sie im Gegenzug verlangen, ist, dass der Krankenhausflügel oder das Theater ihren Namen prominent ausweist.
Mythos: Alle Narzissten sind charmant.
Einige Narzissten können oberflächlich charmant sein, wenn man sie zum ersten Mal trifft. Sie sind gut darin, Geschichten zu erzählen, die ihr Leben faszinierend klingen lassen und wahrscheinlich wissen sie, wie man einen guten ersten Eindruck macht. Ihr Charme wird dünn, nachdem man gehört hat, wie sie immer wieder die gleichen Geschichten erzählen.
Zusammenfassend kann man sagen: Narzissten sind weder Superhelden noch Schurken. Sie sind unruhige, sehr egozentrische Menschen mit geringem emotionalem Einfühlungsvermögen und beschäftigen sich damit, ihr wackeliges Selbstwertgefühl zu unterstützen.